… schien Aeneas, der Held des römischen Nationalepos und legendärer Urahn Kaiser Augustus‘, zu haben, als er seinen Gegenspieler Turnus, den König der Rutuler, tötete, obwohl dieser geschlagen am Boden lag und um Gnade flehte. Wie passt diese grausame Schlussszene der Aeneis mit den vielen Stellen zusammen, in denen der Dichter Vergil unzweideutig Kaiser Augustus als den sehnsüchtig erwarteten Friedensstifter lobte, dem es gelang, ein von Bürgerkriegen geprägtes Jahrhundert zu beenden? War es etwa versteckte Kritik am Herrscher? Warum zeigt sich Aeneas so gefühlskalt gegenüber seinem Antagonisten?
Mit dieser und weiteren, spannenden Fragen setzten sich am vergangenen Mittwoch die Schüler*innen aus den Lateinkursen von Herrn Rothe (Q1) und Frau Klingelhöfer (Q2) zusammen mit Oberstufenschüler*innen von vier weiteren Gymnasien aus Bremen und Bremerhaven auseinander. Zu dem Projekttag „Vergil, Aeneis“ hatte der Deutsche Altphilologenverband unter der Federführung von Frau Tschöpe ins Alte Gymnasium eingeladen. Erste Einblicke in universitäre Gepflogenheiten und zahlreiche, nützliche Impulse für die anstehenden Abiturprüfungen konnten die Schüler*innen bei einem Vortrag bekommen, mit dem der eigens aus dem Saarland angereiste Professor Peter Riemer in der prall gefüllten Aula inhaltlich in den Projekttag einführte. Nach diesem erkenntnisreichen und erfreulich schülerorientierten Auftakt mit dem Titel „Vergil und Augustus. Ein Dichter in den Fängen der Macht?“, der unter anderem die in der Aeneis literarisch verarbeitete, enorme Friedenssehnsucht als eine menschliche Grundkonstante hervorhob und damit die erstaunliche Aktualität des Epos angesichts des Ukraine-Kriegs verdeutlichte, konnten sich die Schüler*innen zunächst am extra für sie vorbereiteten Buffet stärken, bevor die im Vortrag aufgeworfenen Fragen in drei Arbeitskreisen je nach Interesse schulübergreifend und leistungsdifferenziert vertieft wurden.
Die Präsentation und Diskussion der mitunter bemerkenswerten Ergebnisse aus den Arbeitskreisen, zu der alle nochmals in der Aula zusammenkamen: Aeneas hatte durchaus Mitleid, musste aber nach dem Willen der Götter handeln – keine Kritik also, sondern ein Auftrag an Augustus, gleich seinem Vorfahren dem göttlichen Willen nachzukommen und für einen dauerhaften Frieden zu sorgen. So ging ein rundum gelungener Projekttag zu Ende, der vor allem eins zeigte: Die Schüler*innen unserer St.-Johannis-Schule sind mit ihrer Leidenschaft für das Fach Latein nicht allein!